Die Moli Same II (ehem. "Ortolan")


Ein Dickschiff "Made in DDR"

Die Geschichte der "Moli Same II" ist auch ein Teil innerdeutscher Geschichte. Vor der Wende in Ostberlin gebaut, fand die "Moli Same II", damals noch unter dem Namen "Ortolan", regelmäßig ihren Weg in das Gewässer des Greifswalder Boddens. Dass sich eine 10-Meter-Yacht in privater Hand befand, hatte absoluten Seltenheitswert. Der Erbauer und Voreigner Peter ließ sich davon jedoch nicht abschrecken. Er hatte einen Traum.

 

Natürlich gab es Segelboote in der DDR und somit natürlich auch Menschen, die dem Segelsport nachgingen. Eine 32-Fuß-Yacht besaß jedoch nicht jeder. Dies war ein Projekt, dass für den Einzelnen nur im Eigenbau realisierbar war und an das sich nicht jeder herantraute. Nur vereinzelt gab es Vereine, denen eine vergleichbare Segelyacht zur Verfügung stand.

Peter trat 1961 im zarten Alter von 16 Jahren einem Berliner Segelverein bei. Dort wurde er Zeuge, wie sich ein Vereinsmitglied einen kleineren Boddenkreuzer aus Stahl zulegte. In diesem Moment reifte in Peter der Traum irgendwann ebenfalls ein eigenes Boot zu besitzen. Das ganze Leben sollte er nun danach ausrichten. Da die Volkswirtschaft jedoch nicht auf Sportboote ausgelegt war und die für den Export bestimmten Jollen nur im Ausnahmefall an DDR-Bürger verkauft wurden, fing Peter an in einem Bootsbaubetrieb zu arbeiten, um sich die erforderlichen Fähigkeiten für den Bau einer eigenen Segelyacht anzueignen. Die Müggelspreewerft  baute Stahlboote, aber auch Boote aus Polyester. Wie Peter erfuhr, wollte sich der Direktor dieser Werft als Rentner ein Segelboot aus Stahl, einen sogenannten Seekreuzer, bauen. Im Alter von 65 Jahren erlitt der Direktor jedoch einen Herzinfarkt und konnte sein Vorhaben nicht mehr verwirklichen. Stattdessen konnte Peter das Material für den Rumpf käuflich erwerben. Für 1500 Ostmark wechselten diverse Stahlbleche den Besitzer. Es handelte sich bei diesem Material um ST 38. Dieses Material wurde im Volksmund auch „Russenblech“ genannt und war einfacher Stahl mit einem hohen Anteil Schrott. Als sich ein Bootsbauer der Werft selbstständig machte und die Firma verließ, übernahm Peter seinen Platz als Elektriker. Da dieser scheidende Bootsbauer ein Wassergrundstück am Zeuthener See besaß, fragte Peter ihn, ob er sein Boot auf diesem Grundstück bauen dürfe. Der Bootsbauer hatte nichts dagegen und so entstand auf diesem Grundstück Peters eigene Werft, auf der er zwischen 1975 und 1985 sein Boot baute.

Den Riss für das Boot kaufte Peter von einem Tischler, der diesen ursprünglich von dem Konstrukteur Höppner erworben hatte. Peter teilte uns mit, dass nach diesem Riss ca. 8 Boote gebaut wurden.

Nachdem die Spanten nach den Vorgaben des Risses geformt worden waren, wurden die Stahlbleche an die Form angepasst. Dazu wurden sie im Kaltverfahren per Hand gefalzt. Die Bleche wurden unter ein Falzrad geschoben und mit Stahlseilen an einem darüber gebauten Galgen befestigt. Mit Spindeln wurden die Seiten der Bleche dann gezogen und wiederholt über das Falzrad geschoben, bis sich die Bleche in die gewünschte Form bogen. Dieser aufwendige Vorgang wurde so oft wiederholt, bis die Bleche an die Form der Spanten angepasst waren. Durch die tatkräftige Unterstützung seiner Bootsbauer war die Fertigung des Rumpfes bereits nach ca. 2 Wochen abgeschlossen. Der weitere Ausbau des Bootes erfolgte in Handarbeit durch Peter selbst. Er sich über Jahre hinweg die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet. Wie Peter berichtete, gelang ihm dabei auch nicht alles auf Anhieb. So gab es Werkstücke, die er nach eigenen Angaben bis zu achtmal fertigen musste, damit sie seinen Vorstellungen entsprachen. Peter baute das Boot nahezu allein, gab jedoch zu bedenken, dass dieses Mammutprojekt nur mit Erfolg abgeschlossen werden konnte, weil er zahlreiche Freunde, Bekannte und Verwandte hatte, die ihn während der Bauphase mit Ratschlägen und Material unterstützen. So erhielt Peter zum Beispiel Nirosta Farbe von Jochen, einem Bekannten, der im Atomkraftwerk arbeitete und die Farbe dort „organisieren“ konnte. So kam Eins zum Anderen.

Ein wesentlicher Bestandteil einer 32-Fuß-Segelyacht stellt natürlich der Motor dar. Peter musste dabei zunächst auf einen „Ursus“ Gabelstaplermotor zurückgreifen, der mit 8 Zentnern Gewicht ausgesprochen schwer war. Da die Müggelspreewerft auch Polizeiboote herstellte, verbaute  sie Getriebe aus privater Herstellung. Peter wollte es uns nicht im Detail verraten, es ist jedoch davon auszugehen, dass er ein Getriebe „offiziell“ unter der Hand erwerben konnte. Frei nach dem Motto: „Eine Hand wäscht die andere!“ wurde man sich einig. Peter hatte den Rumpf fertiggestellt und mittlerweile auch Motor und Getriebe erstanden und eingebaut. Das Boot nahm Gestalt an. Peter verdiente zu dieser Zeit ca. 500 Ostmark im Monat und investierte nahezu jede Mark in sein Boot. Materialien für den Ausbau des Bootes wurden oftmals durch Zufall entdeckt und erworben. So berichtete Peter, dass es Holz für normal sterbliche Bürger  nur in geringen Mengen gab. So konnte man z.B. gerade mal 2 Platten Sperrholz von minderer Qualität erwerben. Durch die Arbeit auf der Werft, hatte Peter jedoch Kontakte zu einem Tischler und fragte diesen bei einem Besuch beiläufig, ob er denn  auch Sperrholz habe. Auf die Frage: “Wieviel?“ antwortete Peter: „Na, so dreißig Platten.“ Der Tischler hatte offensichtlich genug Platten auf Lager. Jedenfalls konnte sich Peter bedienen und die entsprechende Anzahl Sperrholzplatten vom Stapel nehmen. Die Gelegenheit nutzend, fragte Peter gleich noch nach Mahagoniholz und wurde auch diesbezüglich nicht abgewiesen. Kurze Zeit später verließ Peter den Tischlereibetrieb mit 30 Sperrholzplatten und zwei Bohlen Mahagoniholz. Vereinbarungsgemäß steckte Peter dem Tischler am Abend 200 Ostmark in den Briefkasten und der Handel war abgeschlossen. Für Peter offensichtlich ein guter Deal, da er eine der Mahagonibohlen  für 150 Ostmark weiterverkaufte. Offensichtlich  hatte Peter bereits Ende der 70er Jahre Kapitalismus im Blut. Abschließend muss noch erwähnt werden, dass Peter bei der Frage nach Teakholz doch noch abgewiesen wurde. „Nee“ sagte der Tischler. „Teakholz bekommst du nicht. Da hat die Stasi die Hand drauf.“ erinnert sich Peter.

 

1985 wurde das Boot fertiggestellt. Im Rahmen der Schiffstaufe erhielt das Boot den Namen „Ortolan“. Den Namen erhielt das Boot nach dem gleichnamigen Sing- und Zugvogel. Der Stapellauf erfolgte ebenfalls am südöstlich von Berlin gelegenen Zeuthener See. An der Feier nahmen die engsten Freunde, Verwandte und Helfer teil und verlief ausgesprochen feucht und fröhlich.

 

In den Folgejahren nutzten Peter und seine Frau die Urlaubswochen, um die Ortolan über die Oder in den Bereich des Greifswalder Boddens zu überführen und dort die schönste Zeit des Jahres zu verbringen. Die Insel Hiddensee, Stralsund und Rahlswiek waren dabei  beliebte Ziele. Die offene Ostsee blieb ihnen jedoch vor der Wende verwehrt. Grenzkontrollpunkte auf dem Ruden, auf Hiddensee, in Thiessow und Barhöft machten das unerkannte Verlassen der Boddengewässer nahezu unmöglich und beugten der Fluchtgefahr vor. Nur Inhaber sogenannter PM 18-Scheine besaßen das Privileg die Grenzkontrollpunkte mit ihren Booten zu passieren. Diese Privilegierten unterlagen einer entsprechenden Zuverlässigkeitsprüfung und mussten eine wesentliche Voraussetzung erfüllen: Sie durften keine Westverwandtschaft haben.

 

1988 sorgte die Natur dafür, dass sich das Freizeitverhalten von Peter und seiner Frau entscheidend verändern sollte. Da die Oder im Sommer 88 zu wenig Wasser führte, war die Rückfahrt nach Berlin nicht möglich. Auf Empfehlung sprach Peter daraufhin einen Fischer an, der in Zemitz am Peenestrom, kurz vor Wolgast ein Grundstück besaß. Es gab zwar keinen Bootssteg, das geschützte Festmachen war jedoch möglich, so dass Peter und seine Frau mit dem Beiboot das schilfbewachsene Ufer erreichen konnten. Der Fischer war damit einverstanden, dass Peter die Ortolan dort überwintern ließ. Aus der Bekanntschaft wurde eine Freundschaft, so dass die Ortolan dort bis 2001 ihren „Heimathafen“ fand. Waren Boddentörns bisher nur in den langen Urlaubsphasen möglich, konnte Peter sich nun regelmäßig am Wochenende zum Boot begeben und Erholung in der Boddenlandschaft finden. So wurde auch an Winterwochenenden auf der Ortolan übernachtet. Pflege und Wartung wurden somit das ganze Jahr durchgeführt. Der Beitritt zu den örtlichen Segelvereinen blieb Peter lange Jahre verwehrt. Es handelte sich oftmals um feste Gemeinschaften, die nicht unbedingt erpicht darauf waren, Touristen aus der Hauptstadt aufzunehmen. Über die Jahre hinweg lernte man sich jedoch kennen, so dass dem Beitritt im Jahre 2001 nichts mehr im Wege stand. Peter wurde Mitglied des Segel Clubs Wolgast.